Digitalisierung beginnt zwischen den Ohren

Zum nunmehr 7. Mal trafen sich am 28. November 2023 Vertreter/-innen von Kommunalverwaltungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen zum Mitteldeutschen IT-Fachtag in Leipzig. Mit großer Ehrlichkeit diskutierten sie aktuelle Themen und Herausforderungen bei der Gestaltung einer modernen, digitalen Verwaltung.

In ihrem Grußwort spannte Christiane Schmidt-Rose, Landrätin des Landkreises Weimarer Land, gekonnt einen Rahmen um die Themen des Fachtages.  „Digitalisierung beginnt zwischen den Ohren“, sagte sie in ihrem Grußwort. Es sei erforderlich, Prozesse neu zu denken, wenn man wirklich erfolgreich digitalisieren wolle. Dennoch dürfte die eigentliche Aufgabe der Kommunen nicht aus dem Fokus rücken, nämlich für die Bürger/-innen da sein und zwar für alle – auch für jene, die keine digitalen Angebote nutzen könnten oder wollten. Es bedürfe nach wie vor hybrider Lösungen.

Kritisch äußerte sich die Landrätin zur wachsenden Komplexität der kommunalen Aufgaben, die sich durch die fehlenden Fachkräfte noch verschärfe. Zudem seien oft nett gemeinte Anschubfinanzierungen für Digitalisierungsprojekte, mit denen der Bund die Kommunen in die „vermeintlich richtige Richtung“ schieben wolle, oft mit hohen Folgekosten verbunden, die die Kommunen dann allein schultern müssten. Als Beispiel nannte sie den Digitalpakt Schulen, der im kommenden Jahr auslaufe, und stellte die Frage in den Raum, wer in fünf bis zehn Jahren zur Stelle sei, um die erforderlichen Technik-Updates zu finanzieren.

Zur Idee der Nachnutzung von OZG-Lösungen positionierte sich Christiane Schmidt-Rose ebenfalls zurückhaltend. Tatsächlich habe sie aufgrund der ähnlichen zu bewältigenden kommunalen Aufgaben Charme. Die Realität zeige jedoch, dass ein digitaler Service nicht in allen Fällen eins zu eins in die vorhandenen Strukturen in den Verwaltungen der Kommunen und Landkreise integriert werden könne. Am Schluss habe doch jede Kommune eine Einzellösung. Dennoch sei es wichtig, zu neuen Formen der interkommunalen Zusammenarbeit zu finden – nicht zuletzt, um der allgegenwärtigen Bedrohung durch Cyberkriminalität gemeinsam entgegenzutreten, voneinander zu lernen und miteinander zu wachsen.

Kommune im Krisenmodus:
„Wir sind nicht mehr die Gleichen wie vorher!“

Was es für eine Kommune bedeutet, Opfer von Cyberkriminellen geworden zu sein und wie viel Kraft es braucht, diese Krise zu bewältigen, illustrierte ein Team um Melitta Kühnlein, Leiterin IT-Strategie aus der Landeshauptstadt Potsdam. Die Kommune war kurz vor dem Jahreswechsel 2022 ins Visier einer international agierenden, hochprofessionellen Hackergruppe angegriffen geraten. Es gab Hinweise auf einen drohenden Cyberangriff auf die IT-Systeme der brandenburgischen Landeshauptstadt. Aus drei Perspektiven berichteten die Potsdamer, wie sie die Zeit erlebt haben.

„Heute“, und da sind sich Melitta Kühnlein, Sophie Feibicke, Max Flügel und René Sellenthin vom Team Potsdam einig, „sind wir nicht mehr die Gleichen wie vorher!“ Man sei in der Krise gewachsen. Wichtig seien gut ausgebildete Mitarbeitende, ein funktionierendes Team, das bereit ist, seine Komfortzone zu erweitern, und eine transparente Kommunikation – nach innen und außen. Es sei falsch, Cybervorfälle totzuschweigen. Offen zu berichten, um voneinander zu lernen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Strategien zu entwickeln, sei der richtige Weg im Umgang mit der Bedrohungslage.

Melitta Kühnlein
Sophie Feibicke
Max Flügel
René Sellenthin

Und genau diesen Weg wollen die Potsdamer gehen. Im anschließenden Workshop entwickelten sie gemeinsam mit den Teilnehmenden Ansätze, wie man sich als Kommune für einen Cyberattacke wappnen kann. Die Erarbeitung gemeinsamer Standards, von Awareness-Strategien sowie eine transparente Fehlerkultur gehörten dabei ebenso zu den Ergebnissen wie der Aufbau eines kommunenübergreifenden Krisennetzwerkes oder auch der Austausch von Notfallplänen.

Interaktive Ransomware-Simulation:
Wie gut ist Kommune auf einen Angriff vorbereitet?

Wie wichtig all diese Maßnahmen sind und wie gut Kommunen daran tun, sich angesichts der wachsenden Digitalisierung schnell und umfassend mit dem Thema auseinanderzusetzen, verdeutlichte Dr. Oliver Schwabe vom europäischen Netzwerk ISAC for Cities in einer interaktiven Simulation eines Ransomware-Angriffs auf eine fiktive Verwaltung. Auch wenn im Zusammenhang mit dem Rollenspiel der eine oder andere Lacher nicht zu vermeiden war: Das Format verdeutlichte die Unsicherheit, die im Umgang mit Cyberangriffen noch vorherrscht und sensibilisierte einmal mehr für eine schnelle und intensive Auseinandersetzung mit Informations- und Cybersicherheit in Kommunalverwaltungen.

In diesem Zusammenhang ist auch der Beitrag von Christian Stuffrein vom Deutschen Landkreistag (DLT) zu nennen. Kommunen seien für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen von großer Bedeutung und Cyberangriffe auf sie kein Nischen-Thema mehr. Obwohl Kommunen hochsensible Daten hielten, unterlägen sie ebenso wie kommunale IT-Dienstleister nicht dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSIG. Wichtig sei es deshalb, auch abseits des gesetzlichen Rahmens verbindliche Regelungen für Kommunen und ihre IT-Partner zu schaffen, Resilienzstrategien zu entwickeln. Eine Idee wäre die Etablierung einer digitalen Rettungskette: Man könne Praktiker/-innen als erste Ansprechpersonen zentral ausbilden, um Kommunen quasi als „Erste-Hilfe-Instanz“ im Krisenfall dabei zu unterstützen, richtig und überlegt zu reagieren.

EfV statt EfA:
Wie belastbar ist das Eine-für-Alle-Konzept bei der OZG-Umsetzung?

Untrennbar verbunden mit der Verwaltungsdigitalisierung ist die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Entsprechend stand sie auch beim IT-Fachtag auf der Agenda. In einführenden Vorträgen und einem anschließenden Round Table haben sich Dirk Meyer-Claassen, Staatskanzlei Berlin, Alexander Engel, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, und Sebastian Rauer, Lecos GmbH, sehr ehrlich mit dem „EfA“-Konzept auseinandergesetzt.

Meyer-Claassen kritisierte etwa die Kommunikation rund um das OZG. In der Öffentlichkeit sei immer von 575 Verwaltungsleistungen, die online zugänglich gemacht werden sollen, die Rede. Dass hier aber weit über 6.000 tatsächlich umzusetzende Prozesse und Leistungen dranhängen, werde nie erwähnt. Auch das OZG-Dashboard des Bundes arbeite nicht mit belastbaren Zahlen und zähle Leistungen auch dann als digitalisiert, wenn sie nur in einer einzigen Kommune irgendwo in Deutschland online verfügbar sind.

Kritisch äußerte sich auch Alexander Engel. Viel zu viel Verantwortung läge derzeit bei den Kommunen. Er plädierte dafür, die normgebende Verantwortung auf Landesebene und die vollziehende Verantwortung auf kommunaler Ebene zu verorten.

Sebastian Rauer, Lecos GmbH, Alexander Engel, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Dirk Meyer-Claassen, Staatskanzlei Berlin, und Irakli Shubitidze, Lecos GmbH (v.l.n.r.)

Konstruktiv diskutiert wurde auch die Praktikabilität des „EfA“-Prinzips. Natürlich sei es sinnvoll, den riesigen Aufwand der Antragsdigitalisierung zumindest teilweise von den Schultern der Kommunen und Länder zu nehmen. Um eine wirkliche bundesweit realistische Wiederverwendbarkeit in den Verwaltungen sicherzustellen, müssen aber eine Reihe von technischen, organisatorischen, finanziellen, aber auch rechtlichen Herausforderungen gemeistert werden. Sinnvoll wäre, so das Fazit der Referenten, das „Einer-für-Alle“-Prinzip zu überdenken und vielleicht ein „Einer-für-Viele“-Prinzip daraus zu machen.

Trotz aller Kritik wurde eines in der angeregt-konstruktiven Diskussion deutlich: Die Kommunalverwaltungen bleiben dran an der Umsetzung des Gesetzes – im individuellen Tempo, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger.

Für eine Vereinfachung der interkommunalen Zusammenarbeit

Nutzen können sie dafür in jedem Fall den Marktplatz für digitale Verwaltungsleistungen, im Auftrag des IT-Planungsrates durch die Genossenschaft govdigital und deren Mitgliedsunternehmen entwickelt. Zum Stichtag IT-Fachtag waren auf der Plattform 53 EfA-Leistungen über den Anbieter FITKO und weitere 28 EfA-Leistungen über den Anbieter govdigital verfügbar. In seinem Vortrag stellte Felix Ette von der govdigital anschaulich vor, wie der Marktplatz funktioniert und wie er weiterentwickelt werden soll. Ziel ist es, durch eine Vereinfachung der interkommunalen Zusammenarbeit eine gesamtstaatliche Handlungsfähigkeit herzustellen.

Eine weitere Initiative der govdigital ist der Aufbau der Deutschen Verwaltungscloud. Lecos-Geschäftsführer Sebastian Rauer veranschaulichte, wie diese Technologie auch für Kommunen nutzbar werden soll und welche Vorteile sie mitbringt, beginnend bei Georedundanz, die die Gefahr eines Datenverlustes minimiert, über ein hohes Sicherheitsniveau für die nutzenden Kommunen bis hin zu großer Systemresilienz.

Warten ist das neue Verlieren:
Digital-Lotsen motivieren zu Eigeninitiative und Anpacken

Matthias Martin und Frank Lichnok vom Projekt Digital-Lotsen des Sächsischen Städte- und Gemeindebundes wollen mit ihrem Workshop die Kommunalverwaltungen motivieren, angesichts der wachsenden Aufgabenkomplexität in Kommunalverwaltungen – zusätzlich verschärft durch den allgegenwärtigen Fachkräftemangel – nicht in Schockstarre zu verfallen, sondern stattdessen schon heute ins Tun zu kommen. Es sei wichtig, Aufgaben zu priorisieren, denn Kommunen können perspektivisch nicht mehr alles in Gänze bewältigen. Gemeinsam mit den Teilnehmenden erarbeiteten die beiden Referenten Maßnahmen, wie eine solche Aufgaben-Triage aussehen kann, welche Hindernisse sie heute wie umschiffen und welche Dinge sie anstoßen können.

Die Bürger/-innen im Mittelpunkt

Mit ganz viel Bürgernähe punktet die Kleinstadt Herzberg/Elster. Bürgermeister Karsten Eule-Prütz stellte das Projekt „Stadtmacher“ für mehr Bürgerbeteiligung in der kleinen Kommune vor. Möglichst viele Bürger/-innen sollten damit erreicht werden, insbesondere auch diejenigen, die sich sonst von selbst nicht beteiligen würden. Es sollte das Bewusstsein entstehen, dass wirklich jede und jeder mitgestalten kann. Projektbezogen wird über ein Losverfahren ein Bürgerrat erstellt, der sich in diversen digitalen und analogen Beteiligungsformaten in die Themen einbringt. Und an Projekten mangelt es nicht: Da geht es um die Belebung der Innenstadt, um eine gemeinwohlorientierte Bestandsentwicklung diverser Immobilien, um Coworking-Space und vieles mehr. Und die „Stadtmacher“ haben Erfolg: Die Herzberger/-innen wachsen wieder stärker in ihre Kommune hinein. Eine von Vertrauen und Initiative geprägte Stadtkultur entsteht. Dicker Daumen für so viel kommunales Engagement!

Microsoft 365 und Digitaler Zwilling

Eher IT-fachlicher Natur waren die beiden Vorträge von Marc-André Müller, Leiter IT-Strategie der Stadt Duisburg, und Mirko Mühlpfort, Teamleiter im Projektteam CUT (Connected Urban Twins) des Referats Digitale Stadt der Stadt Leipzig.

Unter dem Titel „Microsoft 365? Oder MS Office on premise?“ stellte Marc-André Müller die Vor- und Nachteile von Microsoft 365 gegenüber und beleuchtete auch technische, wirtschaftliche und IT-sicherheitsrelevante Aspekte sowie die Kosten für die Lösung. Er kommt zu dem Schluss, dass letztendlich die Vorteile überwiegen – zumal Microsoft mit ihrer schon länger angekündigten „Cloud first“-Strategie den Support für eine Reihe von on premise-Produkten einstellen wird. Zudem skizziert Müller den Duisburger Weg von der Produktentscheidung bis zur tatsächlichen Produktivsetzung von Microsoft 365. Ein spannender Erfahrungsbericht mit vielen Tipps und Aha-Momenten im Publikum.

Mirko Mühlpfort beleuchtete in seinem Vortrag „Digitale Zwillinge: Hype oder entscheidendes Werkzeug für nachhaltige Stadtentwicklung?“ die Vorteile und Herausforderungen bei der Nutzung eines urbanen digitalen Zwillings für die Stadtplanung. Digitale Abbilder, also Zwillinge, von real existierenden Städten ermöglichen „Was-wäre-wenn“-Simulationen, etwa bei der Stadtplanung und darauf aufbauend bei der Einbeziehung von Bürger/-innen in solche Entscheidungsprozesse. In Leipzig ganz konkret geschehen bei der Umgestaltung des Matthäikirchhof, für den verschiedene Architekturentwürfe angesehen und bewertet werden konnten, sowie bei der Simulation der Energieversorgung bei Wetterextremen, z.B. in sehr kalten Wintern oder sehr heißen Sommern. Die Ergebnisse fließen in die Quartiersentwicklung ein. Die Verschmelzung von digitaler und realer Welt bietet also ein enormes Potenzial für die Verbesserung und Beschleunigung von Prozessen und Verfahren der Stadtentwicklung.

Wir modernisieren unsere Verwaltung.
Aber verraten Sie es bloß keinem!

Die Vielfalt der Workshops und Vorträge, das große Interesse der Teilnehmenden und ihre Berichte aus den eigenen Verwaltungen machten deutlich: Da bewegt sich ganz viel in der kommunalen Familie. Unzählige tolle Digitalisierungsprojekte sind in Planung, in Umsetzung oder bereits umgesetzt. Dennoch wissen 61% der Deutschen nicht, ob die von ihnen benötigte Verwaltungsleistung online verfügbar ist, zitiert Hanna Saur den eGovernment Monitor 2023. Ihre Einschätzung? Es werde viel zu wenig kommuniziert, was schon verfügbar ist und was geht. Auch der Bund verhalte sich eher zurückhaltend. Abwarten und nichts tun, sei zwar sicher auch eine Alternative, aber eben keine Lösung. Es sei an der Zeit, als Kommunalverwaltung selbst aktiv zu werden und zu kommunizieren. Schlussendlich müsse ein Umdenken in den Ämtern stattfinden, dass sich durch die Digitalisierung die Rolle der Verwaltungsmitarbeitenden von der bearbeitenden zur beratenden Funktion verschiebe. In diesem Sinne: „Wir modernisieren unsere Verwaltung. Machen Sie Werbung dafür!“

Dies beschreibt recht gut die motivierte Macherstimmung, die während des IT-Fachtags spürbar war. Trotz aller – durchaus berechtigten – kritischen Stimmen, trotz der herausfordernden Aufgaben: Die kommunale Familie ist motiviert, voranzugehen und mit Ideen und Tatendrang die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Ein gutes Gefühl für den kommenden IT-Fachtag in 2024.

Wir sagen herzlich Dankeschön an alle Referentinnen und Referenten für ihre offenen und ehrlichen Einblicke und Erfahrungsberichte, den Moderatorinnen und Moderatoren für ihre souveräne Führung durch die Sessions und allen Teilnehmenden für die konstruktive Diskussion und den gewinnbringenden Erfahrungsaustausch!

Zum Programm des IT-Fachtags 2023